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Siemensstraße 144

ROM.HOF – Studentischer Wohnhof in Bonn

Die Stadt ist polyzentrisch eingerichtet. Im Laufe der Zeit sind die umliegenden Dörfer in den Stadtkörper eingewachsen. Noch heute sind die inkorporierten Ortschaften im Gefüge der Stadt strukturell und räumlich wahrnehmbar, bisweilen haben sie obgleich der Überformung im Einzelnen ihre Mitte bewahrt. Nach außen hin lässt die räumliche und formale Konzentration nach, die Dörfer unterhalten innerhalb des gesamtstädtischen Gefüges ihre jeweils eigenen und untereinander überlappenden Peripherien. Es sind Stadtlandschaften unterschiedlicher Herkünfte, die ungeordnet einander zuwachsen, sich durchdringen und die dabei statt einer neuen Mitte eine neue Leere hervorbringen.

Korrespondenz der Orte
Es ist ein Ort, der sprachlich vielmehr ein „dazwischen“ als ein „inmitten“ verdient. Seine räumliche Identität ist wirksamer von der Topographie der überkommenen Landwirtschaft geprägt, als von den auslaufenden Landstraßen und den mitgeführten, verstreuten Ansiedlungen. Von den unmittelbaren Lagebestimmungen des Körpers abgesehen, lässt sich ein lokaler Anhaltspunkt für die architektonische Neuverortung nur schwer ausmachen. Sie ist vielmehr mittelbar vorgenommen und von der Widmung abgeleitet. Topologisch schlägt der Bau als studentischer Wohnhof eine assoziative Brücke zur nachbarlichen „Ortschaft“ und den dortigen universitären Gebäuden des ausgehenden 19. Jahrhunderts in der Nähe des Schlosses. Von keinem Standpunkt in der Stadt kann diese räumliche Beziehung in den Blick genommen werden. Ästhetisch bleibt sie der „Korrespondenz“ (M. Seel) beider Orte über Ähnlichkeiten vorbehalten.

Innere Raumfolgen
Mit seiner Introvertiertheit begegnet der Bau der Außenräumlichkeit des Ortes. Von der Straße aus führt ein Tor zu inneren Laubengängen, an denen kleine Wohnungen liegen. Über Treppen in den Ecken sind die offenen Korridore der vier Stockwerke miteinander verbunden. Der Kernraum wird durch einen eingestellten Querriegel („Waschhaus“) geteilt und weist auf der oberen Eingangsebene und der unteren Ausgangsebene Höfe aus, die von Lauben umschlossen über das untere Tor an die offene Landschaft anschließen. Am unteren Hof liegt die Küche, am oberen der Wasch- und darüber der Spielraum. Über Öffnungen mit Türen und Fenstern sind die Wohnungen mit ihren Anräumen samt Küchen und Bädern an die Laubengänge angeschlossen. Den nach außen gerichteten Zimmern sind Loggien („Studioli“) vorgelagert.

Einsamkeit und Gemeinsamkeit
Als „Hof“ tradiert der Bau einen Typus, der mit Atrium und Forum für Haus und Stadt auf eine lange Baugeschichte weist. Dass er zugleich in haus- wie stadtbaulichen Zusammenhängen unterschiedlicher Bindung vorkommt, verdankt sich einem „höheren Zweck“ (G. Semper), der den „Hof“ als Typus immer erst einräumt: der Widmung an das gemeinschaftliche Wohnen in Haus und Stadt. Als Innerer Außenraum ist der Hof der öffentlichste Teil des Baus, der zwischen Straße und Wohnung reziproke vermittelt. Und wie der Hof systemisch aus Kernraum und Anräumen besteht und der „Gemeinsamkeit“ gewidmet ist, so geht auch der Innere Innenraum der Wohnung auf eben dieses Prinzip zurück. Wegen der komplementären Widmung an die „Einsamkeit“ aber ist das „Studiolo“, als Kernraum der Wohnung, exzentrisch an die äußere Peripherie des Baus verlagert. Als Raumende der Wohnung, von Haus und Hof wie auch der Stadt, ist es der Ort größtmöglichen Rückzugs von Gemeinschaft und Gesellschaft, wegen des mangelnden städtischen Kontextes und der aussetzenden Äußeren Innenräume der Stadt, ist das „Studiolo“ zugleich auch derjenige Ort, der unmittelbar mit dem Äußeren Außenraum von Land und Landschaften konfrontiert.

Haus und Hof als Fest
Das „Waschhaus“ inmitten der Höfe repräsentiert das gemeinschaftliche Wohnen, indem es darstellt und indem es hervorbringt (hoffentlich), den Akt gemeinschaftlichen Wohnens voraussetzt. Dabei ist der Wohnhof als Ganzes als eine „verdichtete Siedlung“ gedacht, aber an Stelle des Ländlichen tritt hier das Städtische auf. Gleichsam zur Verrechnung der fehlenden Stadtraumgestaltung vor Ort, führt dieses „verstädterte Siedeln“ zu einer Urbanität im Inneren des Baus. Nur so kann der horizontal wie vertikal mittig gelagerte und überhöhte Raum zweckhaft mit Wasch-und Trockenautomaten eingerichtet werden, nur so kann der Brunnen im vorgelagerten Hof auf diese Widmung hinweisen. Ursprünglicher aber noch als das Waschen, weisen der Herd und das Kochen auf das gemeinschaftliche Ereignis hin. Der auf dem unteren Niveau zur Landschaft geöffnete Hof ist mit seiner Feuerstelle der Gemeinschaftsküche vorgelagert. Und hoch oben, noch über den beiden anderen, ist der Raum für das Spielen eingerichtet. Das gewohnte Kochen, Waschen, Spielen meinen hier das Fest, ein Fest des „schönen Gebrauchs“ (B. Taut), das „Fest“ (H.-G. Gadamer), das Gemeinsamkeit ist und Gemeinsamkeit darstellt.

System der Architektur
Der Bau ist organismisch gefügt. Teil und Ganzes stehen in einer Verhältnismäßigkeit zueinander, die sich als Proportion von Räumen und Formen darstellt und die in der Maßstäblichkeit gegründet ist. Im System der Architektur führen die Proportion der Räume bis zur Einheit der Öffnung zurück und die Proportion der Formen zur Einheit des Pfeilers. Öffnung und Pfeiler, Räume und Formen, sind von vornherein in ein und dieselbe modulare Maßordnung eingebunden. Proportion beschreibt insofern die Verhältnismäßigkeit innerhalb einer Ordnung, hier des Baus, Maßstäblichkeit beschreibt die Verhältnismäßigkeit zwischen zwei Ordnungen, hier, der des Baus und dort, der der Wohnenden. Erst die Maßstäblichkeit setzt den Bau mit Räumen und Formen in Beziehung zu etwas anderem oder anderen, zu den Wohnenden. Vordergründig ist es zunächst die Handwerklichkeit des Backsteins, die den Maßstab des Baus greifbar macht: Greifen heißt Begreifen. Maßstäblichkeit umfasst weit mehr als die überkommende Anthropomorphie oder –metrie der Formen, sondern meint noch davor und noch zuerst das Räumliche der Architektur, schlussendlich erzielt sie die ganze Verfasstheit, die auch das Bewegungs-, Wahrnehmungs- und Vorstellungsvermögen der Wohnenden einschließt. Eine Maßstäblichkeit also, die sich nicht mehr nur in Maßen erschöpfen lässt, sondern in einer erweiterten Verhältnismäßigkeit Ein- und Ausdruck findet.

Offenheit und Öffnungen
Die Räume sind den Wänden entlehnt. Über das Element der Öffnung sind sie aneinander und an den Außenraum angeschlossen. Offenheit und Geschlossenheit der Wände zeigen die gesellschaftliche Trennung in öffentlich und privat an. Über Öffnungen schließen Wände ein und aus. Von innen nach außen nimmt die Offenheit des Baus ab. In der Weise, wie die äußeren Öffnungen der Wände die eigenen Zimmer der Wohnenden nach außen darstellen, weisen die inneren Öffnungen mit der Dopplung des Intervalls auf die gemeinsamen nach innen hin. Auch die Öffnungen sind Räume, Räume im Inneren von Wänden, in denen man steht und durch die man geht. Wände öffnen sich als Orte und Wege. In besonderer Weise zeichnen Bogen und Gewölbe diese innere Räumlichkeit der Wand aus: Der schützende und bergende Charakter der umschließenden und zugleich öffnenden Geste wirkt sich raumintensivierend auf jene Orte und Wege aus. Ein Bogen fokussiert die Mitte, durchwelche der Blick und die Bewegung führen. Anders als die winkelige Öffnung, dergleichen die Wand lediglich aussticht und abzieht, scheint der Bogen die Öffnung zu zerdehnen, die Wand gleichsam beiseitezuziehen und im Pfeiler zu bündeln, weswegen wohl auch das Massiv im Raum der Öffnung noch spürbar zu sein scheint.

Botanik der Wand
Zumal er nichts anderes vermag, jedenfalls nicht ohne anderweitige Unterstützung, mauert der Backstein Bögen und Gewölbe. Öffnungen unter Bögen lassen Wände schwer erscheinen. Fließend werden die Lasten über den Bogen in Wand und Pfeiler umgelenkt und im Erdboden abgetragen. Das „Abfließen“ der Lasten lässt die Wand gleichsam standfest im Grund wurzeln und aus ihm herauswachsen. Diese eigentümliche Wirksamkeit der Wand kommt im Gefüge der Steine sinnbildlich zur Darstellung. Nähert sich die Wand dem Erdboden wechselt der Wasserstrichziegel ins Rote und wegen des Höhenversprungs von der Straße zur hinteren Landschaft bildet der Bau rückwärtig ein vornehmlich in Rot gekleidetes Sockelgeschoss aus. Die über dem Sockel aufgehenden Wände verlaufen ins Gelbe. Der Übergang vom Rot zum Gelb zeigt in Zu- und Abnahme einen Verlauf, der im vermischenden Übergang das „Wachsen“ der Wand und das „Wachstum“ des Baus mimetisch darstellt. Gleich in mehrfacher Hinsicht wird diese Sinnbildhaftigkeit der „organischen“ Wand und des organismischen Baus transformatiert und mit dem Vorkommen von Kopf-, Läufer- und Lagerseiten des Steins, mit dem wilden Verband, mit der Verästelung des Fugennetzes, mit Vor- und Rücksprüngen und vorherbestimmten handwerklichen „Fehlern“ untermauert. Das so entstehende, unregelmäßige Muster zeichnet das wachstümliche Gewebe der Wand aus und bestimmt die Tektonik des Baus – einer Pflanze gleich.

Gewand der Räume
An die Materialfarbigkeit der Backsteine, an das Rot und das Gelb, knüpft die innere Polychromie von Wänden und Decken an. Zunächst mit der dritten Farbe, dem mineralischen Blau, mit dem die Decken „weggestrichen“ sind. Drei weitere Farben, Beige, Purpur und Grün zeigen sich als Produkte der drei Hauptfarben. Die inneren Wände von Lauben, Treppen und „Waschhaus“ sind als Mischung von Rot und Gelb mit einem kartonfarbenen Beige abgedeckt. Die der nach außen gerichteten „Studioli“ wechseln von unten nach oben vom Purpur zum Grün. Liegt das „Studiolo“ hinter einer vornehmlich in Rot gemauerten Wand, sind die Wände als Mischung von Rot und Blau in einem bräunlichen Purpur gestrichen. Hinter den überwiegend in Gelb gemauerten Wänden tritt Grün als Produkt von Gelb und Blau auf. Wegen der Verkieselung mit dem verputzten Grund zeigen die Keimfarben eine mineralische „Tiefe“. Die Polychromie bezieht sich auf die öffentlichen Teile, d.h. auf die gemeinschaftlich gewidmeten Räume des Baus und trägt zu deren Gestimmtheit bei. In den äußeren „Studioli“ der Wohnungen ruft die Farbigkeit sinnbildlich das Gemeinschaftliche und Gesellschaftliche ins Gedächtnis und weist zur Räumlichkeit des Hauses wie auch der Stadt zurück. Ansonsten sind die Wohnungen mit Weiß und Grau von der Farbgebung ausgenommen.

Ohne Farbe
Auch die Kunst von Detlef Beer lässt die Farbe aus – unter den blauen Decken des „Waschhauses“ und der „Studioli“. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass im Werk des Malers Beer dem Umgang mit Farbe, im Besonderen den Farben Gelb, Blau und Rot, grundsätzliche und konzeptualisierende Bedeutungen zukommen: Hier aber führt das architektonische Voraussetzen der Farbe zum künstlerischen Verzicht auf Farbe. Zunächst ist es unmittelbar das „Aussparen“ der Farbe, das die innige Beziehung zwischen Akt und Bau erst verräumlicht. Denn in der Weise, in der die Architektur den Raum baulich begrenzt, mit der Farbe das Bauliche aber maskiert, um sich in der Wirkung ganz dem inneren Räumen zuzuwenden, nimmt sich die Kunst mit ihrem „Aussparen“ der Farbe wider der Architektur zuallererst eine Öffnung der Räume vor. Aber diese scherenschnittartigen Öffnungen sind nicht dazu gedacht, die Aufmerksamkeit auf die darüber liegende Konstruktion, etwa auf den rohen Putzgrund oder den groben Beton der Decke zu richten, vielmehr geht es um eine Öffnung des Raumes in einen anderen Raum, einen imaginären Raum, einen erweiterten, grenzenlosen, einen offenen Raum. Von dort her, scheinbar aus weiter Ferne, veranlasst durch den hellen Grund, strahlt das motivisch Ausgelassene der drei abstrakten Deckenbilder in den inneren Raum zurück. Die Mathematik der Arbeit und die in den Decken der „Studioli“ ausgesparten Eigennamen weisen geheimnisvoll auf Astronomie hin.

Zur Zeit
Der Bau nimmt Bezug auf Vorangegangenes und Vergangenes, ohne sich dabei allzu deutlich von „Altem“ abzusetzen. Wirklich „neu“ erscheint er daher nicht. Das muss noch kein Nachteil sein, ist doch das heute noch „neu“ genannte vielleicht schon Morgen beim „alt“ genannten angekommen – jedenfalls zu voreilig für die bedächtige Architektur, deren Sache die Mode ohnehin nicht sein sollte. Wie im Boden legt der Bau auch in der Zeit Fundamente an, eine Arbeit am Zusammenhalt von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Modern wird der Bau wohl nicht gewesen sein.

(Erläuterungen von usarch)